Chorwerkstatt Hildegard von Bingen – Resonanz
Bericht – Bilder und Hörbeispiele
FrauenSingen
Von
Juliane Brumberg
Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) bietet Workshops und
Singtage speziell für Frauen an.
efi-Redakteurin Juliane Brumberg hat an einer
Chorwerkstatt zu Hildegard von Bingen teilgenommen.
Ein großer Stuhlkreis im erfrischend renovierten Zentrum Verkündigung mitten in Frankfurt. Auf jedem Platz eine Postkarte aus einem mittelalterlichen Codex mit dem Werk „Scivias. Wisse die Wege“ Hildegards von Bingen. Kantorin Bettina Strübel beginnt mit den Einsingübungen. Dabei benutzt sie Begriffe, die ungewohnt klingen: Torculus oder Quilisma. Musik aus einer anderen Zeit – das sind nicht nur andere Klänge; diese Musik braucht auch eine andere Sprache und eine andere Notenschrift. Bettina Strübel hat sie von den alten Handschriften auf neue Notenblätter übertragen und die fremden Zeichen auf einem Flipchart erklärt.
In einer kurzen Vorstellungsrunde erzählen die 35 Teilnehmerinnen, was sie bewogen hat, an dieser Chorwerkstatt teilzunehmen: „Ich habe mich mit der Kräuterkunde von Hildegard von Bingen beschäftigt, jetzt interessiert mich auch ihre Musik“, „weil ich schon woanders mit Bettina Strübel gesungen habe und mir das so gut gefiel“, „ich bin Klavierlehrerin und möchte mal Musik kennenlernen aus einer Zeit, in der es mein Instrument noch nicht gab“, „ich singe gerne und möchte mal was Neues ausprobieren“, „ich war letztes Jahr beim Frauensingen in Kloster Eberbach und war sehr beeindruckt, bei der Abschluss-Vesper die Lieder aus dem Hildegard-Workshop zu hören.“
Obwohl die mittelalterliche Musik einstimmig gesungen wird, sind die Frauen überrascht, wie schwer es ist, die richtigen Töne zu treffen. Alle müssen sich zunächst von ihren Hörgewohnheiten lösen, denn es gibt keine Rhythmisierung durch einen vorgegebenen Takt und auch kein Dur und kein Moll, sondern nur einen Grundton, um den herum die lateinischen Texte moduliert werden. Höchste Konzentration ist angesagt. Aber alle sind beeindruckt, wie stark die Gesänge wirken, wenn sie mit geballter Frauenpower, fast wie in einem mittelalterlichen Kloster, gesungen werden. Und die Frauen sind erleichtert, am zweiten Singtag zu merken, wie sie sich eingehört und eingeschwungen haben. Es geht nun schon viel besser und die Freude am Singen ist den Gesichtern anzusehen.
Singen mit feministisch-theologischem Anspruch
Die Chorwerkstatt zu Hildegard von Bingen hat durchaus einen feministisch-theologischen Anspruch. Mit ‚Quia ergo femina‘ haben Bettina Strübel und Ursula Reichert eine Antiphon ausgewählt, in dem es um das Wirken Gottes in der ‚lichten Jungfrau‘ geht – wobei der Begriff Jungfrau nicht für sexuelle Unberührtheit, sondern weibliche Eigenmacht steht. Im Mittelalter konnte auch eine verheiratete Frau eine ‚virgo‘, eine Jungfrau, sein. Die „lichte Jungfrau“ bezieht sich einerseits auf das göttliche Licht, andererseits auf die junge Frau der lichten Zeit, die an Lichtmess beginnt.
Da eine Frau den Tod gebracht hat,
hat die lichte Jungfrau ihn überwunden.
So ist der höchste Segen
In weiblicher Gestalt
Vor jeder anderen Kreatur.
Denn Gott ist Mensch geworden
In der lieblichsten und seligen Jungfrau.
Zwischen den einzelnen Probenphasen gibt es nicht nur Kaffeepausen mit einem gut bestückten Kuchenbuffet, sondern auch Hintergrunderklärungen mit Faksimiles der Hildegard-Miniaturen von Ursula Reichert. Sie ist Musikwissenschaftlerin und organisiert als Sprecherin des Fachausschusses Frauenchöre in der EKHN das Forum Frauensingen. Neben den kleineren Chorwerkstätten gibt es jedes Jahr ein großes Frauenchortreffen. Im letzten Jahr fand es mit über 400 Teilnehmerinnen im Kloster Eberbach im Rheingau statt und zum ersten Mal wurden die Gesänge von Hildegard von Bingen in das Programm aufgenommen. Der Zuspruch war so groß, dass als Folgeveranstaltungen eine Chorwerkstatt Hildegard-Singen im September 2012 und jetzt zu Lichtmess geplant wurden.
Und Kantorin Bettina Strübel träumt von mehr: „Wenn es genügend Interesse gibt, würde ich gerne eine Frauen-Schola gründen, um mehr Hildegardlieder einzuüben. Und diese könnte wir dann vielleicht 2014 auf dem Deutschen Evangelischen Chorfest in Leipzig singen“.
Gewaltiges Kyrie zum Abschluss
Doch noch sind wir in Frankfurt und die Abschluss-Vesper wird besprochen. Außer dem Jungfrauenlied hat Bettina Strübel mit ihren Sängerinnen ein Kyrie von Hildegard erarbeitet sowie je einen Gesang zur Kraft der Weisheit und zur strömenden Liebe. Dazwischen lässt sie aus der Bibel in gerechter Sprache eine Passage aus den ‚Sprüchen‘ vorlesen sowie einen Psalm zur Morgenröte. Und da ist dann auch Ursula Reichert wieder in ihrem Element. Sie stellt die Weisheit, Sapientia, vor, und jenes Bild für die rote Kraft, die das ganze All umfasst, das von ihrer Seele und dem Licht erfüllt ist, die Liebe (Caritas).
In Anspielung auf dieses Licht beginnt denn auch die Vesper zu Lichtmess mit einer kleinen Lichter-Prozession der Sängerinnen. Und dann wird nicht mehr geprobt, sondern dem vorbereiteten Ablauf entsprechend andächtig gesungen. Die Vesper endet mit einem gewaltigen Kyrie, für das die Chorleiterin die Sängerinnen ausdrücklich aufgefordert hat, nach dem einstimmigen ersten Durchlauf die Klänge aus dem Kyrie frei zu aneinanderzufügen. Und es gelingt. Als sie die Dirigentinnen-Hand zum Abschluss hebt, endet der Gesang mit einem fast außerirdischen, dissonanten Akkord. Anschließend tiefe Stille. Die Hände, die so gerne dankbar Beifall klatschen würden für dieses intensive Sing-Wochenende, bleiben ruhig. Doch Bettina Strübel und Ursula Reichert spüren auch so, dass diese Chorwerkstatt ein Erfolg war.
Am Samstag, den 22. Juni 2013 findet wieder ein großer Frauensingtag
der EKHN mit verschiedenen Workshops (Bettina Strübel, Daniel Kempin,
Prof. Elisabeth Bengtson-Opitz u.a.) im Kloster Höchst im Odenwald statt.
Gäste aus anderen Landeskirchen sind willkommen.,
Info und Anmeldung unter:
www.chorverband-ekhn.de/frauenchoere/forum.
Die nächste Chorwerkstatt „Hildegard von Bingen“ findet am
21. und 22. September 2013 in Frankfurt statt.
Weitere Infos beim Fachausschuss Frauenchöre,
Ursula Reichert.