Frauensingen in den Heideklöstern - Rückblick

Aus allen Ecken der EKHN kamen sie nach Celle angereist, die Frauen, die dem Ruf von Ursula Reichert1 und Barbara Pfalzgraff2 gefolgt waren. Die musikalische Leitung der Reise lag bei Barbara Müller3. Kurz nach dem Erscheinen der Ausschreibung war sie ausgebucht, die Reise zum Frauensingen in den Heideklöstern.


Wir, die mitreisenden Frauen, kannten uns aus der Chorarbeit oder auch gar nicht, doch unsere Interessen waren gleich. Alle wollten wir singen und natürlich dazu die Akustik der Klöster und Kirchen in der Heide erspüren und in die Lebensweisen der Kloster-Frauen vor und nach der Reformation eintauchen.


Mit einer Führung in der Stadtkirche von Celle begann unsere Begegnung, gefolgt von einem gemeinsamen Abendessen beim Italiener und der ersten Probe unter Leitung von Barbara Müller. Ein wunderschönes Heft mit Chorstücken, Texten und Bildern war von Ursula Reichert zusammengestellt worden. Drei Auftritte waren eingeplant: ein offenes Singen in der Kirche von Kloster Ebstorf, eine Vesper in der Evangelischen Kirche St. Georg in Hanstedt I und am Sonntag ein Beitrag im Gottesdienst von Kloster Lüne. Das Repertoire konnte sich für diesen Workshop-Chor sehen lassen. Es erstreckte sich von dem bekannten Magnificat aus Taizé, über den Kanon „Fließe gutes Gotteslicht“, den Kanon „Da pacem domine“, die Motette „Cantate Domino“ bis hin zu dem anspruchsvollen Chorsatz „Lobe den Herren“ von Johann Vierdanck. 


Am nächsten Tag ging es von Celle aus nach Wienhausen, einem Heidekloster, das insbesondere für seinen Klosterstich berühmt wurde. Das ist eine besondere Art, Teppich zu sticken, um damit biblische Geschichten und mehr zu erzählen. Hier hatte unsere Gruppe die Freude, im kunstvoll ausgemalten Nonnenchor proben zu dürfen, ein außergewöhnlicher Ort mit einer wundervollen Akustik. Danach zogen wir singend mit dem Kanon „wechselnde Pfade“ durch den Kreuzgang des Klosters; wer hatte da wohl keine Gänsehaut… ein Gang zu sich selbst im Labyrinth des Klosters schloss den Besuch ab. Nach dem Abendessen dann erneut eine Chorprobe mit dem nun schon gefestigten Workshop-Chor!


Mit dem Bus ging es dann von Celle weiter nach Hanstedt, unterbrochen von einem Ausflug in die blühende Heide. Wir wohnten im „Missionarischen Zentrum“ nah bei der mittelalterlichen Kirche Sankt Georg. Hier erklangen unsere Chorstücke des Tages. Das Leitungsteam hatte aber nicht nur viele musikalische Kostbarkeiten für uns vorbereitet, sondern hatte auch Dr. Katharina Talkner für einen
Vortrag gewinnen können. Sie bot uns die Ergebnisse ihrer Dissertation zur „Musik in den Heideklöstern“ unterhaltsam dar.


Am nächsten Tag begaben wir uns auf einen Pilgerweg von der Kirche zum Kloster Ebstorf und wurden dort herzlich empfangen. Neben vielen Informationen zum heutigen Leben im Kloster als Konventualin konnten wir die „Weltkarte“ des Klosters besichtigen. Der auferstandene Christus bildet das Zentrum der Welt in Jerusalem und er umfasst die Welt. Ferner beeindruckten uns die wundervollen Fenster aus dem 14. Jh., die im sogenannten „Heilsspiegel“ die Geschehnisse aus dem Alten und Neuen Testament gegenüberstellten und somit die christliche Schlüssigkeit des Heils noch einmal verdeutlichten. Sehr gut auch noch einmal am Abend von Ursula Reichert mit einem Bildervortrag zum Heilsspiegel4 erläutert.


An einem wunderschönen, mit vielen Blumen gedeckten Tisch aßen wir unsere mitgebrachte Vesper und dann bereiteten wir uns auf das „offene Singen“ in der Kirche vor. Ein ansässiger Frauenchor „Nette Begegnung“ kam neben anderen Frauen zum offenen Singen und Barbara Müller gelang es, uns in dieser neu zusammengestellten Gruppe vielstimmige Kleinode zu entlocken; gekrönt wurde das gemeinsame Singen von einem Largo von J.S. Bach (Triosonate G-Dur), dargeboten von Friederike Wolfframm an der Querflöte, Brigitte Reichert an der Geige, Ursula Reichert am Cello und Barbara Pfalzgraff an der Orgel. Das Ensemble hatte sich für diese Chorwoche zusammengetan. Den Tag krönte ein Vortrag von Dr. Brigitte Reichert zum Thema „Klostermedizin unter Berücksichtigung der Heideklöster“.


Am Freitag, dem 9. August fuhr die Frauen-Gruppe zu einem botanischen Garten, mit vielen Bäumen, dem „Arboretum“, in Melzingen. Dieser beeindruckende Garten ist ein Lebenswerk von Christa von Winning, die in vielen Jahren, in aller Welt über 800 verschiedene Bäumen und Pflanzen einsammelte und nach Melzingen brachte, um sie dort zu pflanzen. Entstanden ist ein großer Park, der von einer Stiftung geführt wird mit Unterstützung vieler Ehrenamtlicher. Keine Frage, dass wir Frauen auch dort ein Lied anstimmten.
Am Nachmittag dann Probe für unsere musikalische Vesper in der mittelalterlichen Kirche Hanstedt Sankt Georg. Ein kleiner, aber feiner Besucherinnen-Kreis erfreute sich an unserer musikalischen Vesper mit einer Lesung aus Math. 6, 24-34 und einem Abschluss-Segen, den wir uns gegenseitig zusprachen.


Am Samstagmorgen ging es dann weiter nach Lüneburg. Wir besichtigten die St. Johanniskirche und wurden erneut mit den kunstgeschichtlichen Veränderungen konfrontiert, die die Reformationszeit mit sich brachte. Besonders beachtenswert war die Orgel in der Johanniskirche, an der schon der junge Johann Sebastian Bach gespielt hat. Ursula Reichert führte uns weiter zur Michaeliskirche, in der auch schon der junge Bach gewirkt hatte, hier stießen wir auf die Besonderheit einer sehr großen „Unterkirche“, die während des Baus der eigentlichen Kirche genutzt worden war.


Im Anschluss führte uns unser Weg zum Kloster Lüne. In der sehr anschaulichen Führung durch das Kloster wurde uns wieder einmal deutlich vor Augen geführt, wie schwer der Übergang vom Katholizismus zur Reformation für die damals dort ansässigen Nonnen war. Die Mädchen aus den eher gehobenen Familien erhielten in den Klöstern eine ausgesprochen gute Bildung. Sie konnten z.B. fließend Latein, konnten einen Haushalt führen und waren musikalisch sehr ausgebildet. All das war zur damaligen Zeit für Mädchen nur in den Klöstern möglich. Die Frauen waren aber auch in den Klöstern, um durch ihre Tätigkeit den eigenen Familien und den Menschen, die ihnen anvertraut waren, durch ihr „ora et labora“ zum Heil zu verhelfen. Das Sticken der großen Wandteppiche war z.B. ein großer Teil ihrer Arbeit, die zum Heil führen sollte. Nun wurde dieser Grundgedanke, dass sie durch eigene Werke ihren Gott gnädig stimmten, vollkommen obsolet. Wir Frauen heute konnten nur ahnen, was das für die Frauen damals für ein Kulturschock gewesen sein mag. Teilweise dauerte es wohl eine ganze Generation, bis sich das neue Gedankengut eingeprägt und auch als sinnvoll erachtet wurde.


Zurzeit leben zehn Konventualinnen im evangelischen Kloster Lüne. Sie leben kostenfrei in eigenen Wohnungen und sind u.a. für die Führungen zuständig. Gemeinsame Konvent-Zeiten nutzen sie zum geistigen Austausch, aber auch, um Organisatorisches zu klären. Sie wählen aus ihren Reihen eine Äbtissin. Wir probten zwei Lieder für den Gottesdienst am Sonntag: „Calm me, Lord“ und „Cantate Domino“. Ein Kaffeetrinken im Klostergarten rundete das Programm wunderbar ab.


Am Sonntag bereicherten wir mit unseren Beiträgen den fröhlichen Gottesdienst im Kloster Lüne mit drei Täuflingen. Danach verabschiedeten wir uns alle voneinander, und jede fuhr in ihrer Heimatstadt zurück, dankbar und reich beschenkt! Ein herzliches Dankeschön gilt unserem Leitungsteam!


Text: Elke Stern-Tischleder
Bilder: Erika Möller


1 Ursula Reichert: Verband Ev. Chöre in Hessen und Nassau. Fachausschuss Frauenchöre
2 Barbara Pfalzgraff: beratendes Mitglied im Chorverband, Chorleiterin und Organistin
3 Barbara Müller: Kirchenmusikerin, Chorleiterin
4 zum Heilsspiegel:
www.bbaw.de/forschung/heilsspiegel
5 www.arboretum-melzingen.de/

Fotoserien

Frauensingen in den Heideklöstern 2024 (SO, 11. August 2024)

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Veröffentlichung

Fr, 04. Oktober 2024

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